Wenn es 28 Minuten aus dem Jahr 1972 schaffen, die Zeit selbst ein Stück weit zu entrücken, dann steckt dahinter mehr als eine verstaubte Prä-Stoner-Platte, die in feinster Jodorowsky-Manier visualisiert worden ist. Bilder von Göttern, Reptilien, gefallenen Engeln, xenophysischen Himmelskörpern werden in den bunt-geflickten Mantel einer sterbenden Hippie-Kultur gehüllt – Lucifer Rising – A love vision von Kenneth Anger ist ein auf die höchste Art und Weise inspirierender und intellektuell stimulierender Kuss von einem Film.
Marianne Faithfull als dämonisch-verträumte Mond-Göttin Lilith. Psychedelische Gitarren-Riffs des Manson-Mörders Bobby Beausoleil. Does this Doom? Yes, it does!
Ein Kaiman bei der Geburt: In den Sand entsandt, mutterlos, ohne Führung, ohne Gott – Sterben oder Überleben. Der Magus bei der Zeremonie, Neues formiert sich, Altes besteht im Stein. Die Schale zerbricht, ein UFO erscheint über der ägyptischen Stadt Luxor. Rote Sonne – siedend, ellipsenförmig, jenseits von Gut und Böse.
Babalon, Lilith, Nuit, Ra. Ein Ritual. Schnelle Schnitte verbannen Buddha im Om. Alles dreht sich darum, die Zeit zu manifestieren, sie, wie Tarkowski sagt, „zu meißeln“ – der Film macht das möglich. Jenseits des Sandes, der durch die sterblichen Finger rinnt, mit den Sicheln der Kulturen gestutzt zu werden, auf transreptiloide Rücken durch die Wüste zu reiten und mit spitz geformten Marmorkronen auf dem Haupt zu regieren: Lucifer ist gefallen, doch beschworen steigt er empor – als das Licht, das er hätte sein können.
Was bleibt dem Menschen? Er muss den ketzerischen Glanz des Behemoth in sich aufnehmen, ihn umwandeln und ihn jenseits der Stonehenge-Fraktion weiterdenken. Kenneth Anger gibt uns eine Hilfestellung: Er schnitzt, formt, umreißt die Zeit und schenkt sie uns somit als solche.