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Possessor: Brandon Cronenbergs Beitrag zum Leib-Seele-Problem

Brandon Cronenberg stellt in seinem neuen Film Possessor Fragen, die sich gegen die romantisierte Vorstellung von Leiblichkeit und so gegen das oberflächliche gesellschaftliche Wohlbefinden richten. Es geht um die Existenz, deren Grenzen und das Gefüge von Körper und Geist.


Wir Menschen können nicht aus unserer Haut. Es ist das Los des Individuums, ungeteilt zu bleiben und Leib und Seele als Ganzes, als Einheit zu halten: Man muss sich mit sich selbst arrangieren. So die Realität, wie wir sie heute begreifen. Aber was, wenn es möglich wäre, den eigenen Körper zu verlassen? Mehr noch: fremde Seelen aus ihren Leibern verdrängen und diese mit dem eigenen Ich ausfüllen. Sie kontrollieren, ja: sie besetzen und schließlich vollständig besitzen. Muss man sich dann immer noch mit sich selbst arrangieren?

Der kanadische Regisseur Brandon Cronenberg stellt in Possessor Fragen dieser Art klar und ungeniert. Der Film ist ein metaphysisches Erlebnis, ein körperlicher Trip, der bis an die Grenzen der Existenz, des Lebens, des Todes und des Freitods schreitet. Denn seine Protagonistin (oder auch Antagonistin) Tasya Vos hat die Möglichkeit, in fremde Körper einzutauchen, sie so ihrem Willen zu unterwerfen und schließlich an ihre Ziele zu gelangen. Vos ist Auftragskillerin, der dank einer Gehirn-Implantat-Technologie keine Grenzen gesetzt sind. Im Gegenteil: Das Leib-Seele-Problem wird relativiert und neu gedacht.

Zwei Seelen ach in seiner Brust? Während Vos in fremden Körpern sowohl die Sensualität ihres eigenen, ursprünglichen Geistes als auch die Bandbreite an Impulsen des anderen, fremden, von ihr belebten  Leibes zu spüren vermag, findet sie sich in einer ontologischen Widerspruchssituation wieder und muss sich die Frage stellen, was schwerer wiegt? Der Leib oder die Seele?

Cronenberg reformuliert aus der Rationalität-Sinnlichkeit-Problematik eines Doktor Fausts eine Frage, die fast noch existenzieller, zugleich jedoch erst einmal konstruiert ist: Was geschieht, wenn wirklich zwei Bewusstseinsströme in einem Körper fließen und seine Bewegungen komponieren? Kommt es zu Misstönen? Wo wird dieser Kampf ausgefochten? Was passiert mit dem Bewusstsein, das „verliert“?

Göttin durch die Maschine

In die filmische Realität übersetzt werden diese Überlegungen mithilfe einer Maschine. Vos bekommt vor jedem Einsatz eine elefantenkopfartige Maske übergestülpt. Ihr Gesicht wird von der großen Haube vertilgt und ihr Geist wird aus ihrem Körper gesaugt. Irgendwie scheint er zwar noch mit ihm verbunden zu sein, doch eines ist klar: Der Trieb zum selbsterhaltenden Handeln und die rein behavioristischen Merkmale wandern mit über in den Wirt Das bringt etwas mit sich, das sich schließlich als Problem entpuppt: Auch Vos’ Wille zu Überleben, der eigentlich nur ihrem eigenen, also echten (?) Körper dient, geht in die Leiber ihrer Wirte über.

Darin liegt das zentrale Dilemma: Der Tod ist für die Assassinin essenziell, um erstens den Auftrag abzuschließen und zweitens aus dem fremden Körper überhaupt wieder herauszukommen. In der Theorie lässt sich das am besten mittels eines Selbstmords regeln. So lautet auch der entscheidende Befehl der Vorgesetzten (Jennifer Jason Leigh, The Hateful EightTwin Peaks) für das Ende der Mission. Doch das ist nicht so einfach – auch nicht, wenn der zu ermordende Körper nur im Moment zu Vos’ Selbst gehört.

Immer wieder steht sie vor dieser Hürde und so drohen auch ihre Aufträge zu scheitern. Ganz besonders ihr Colin-Auftrag, der ihr privates Leben mit dem des Auftrags zu vermischen droht. Was ihr sonst so leicht fällt, ist in diesem Fall ein Ding der Unmöglichkeit: den Abzug zu betätigen. Denn sobald sie den Lauf gegen sich und ihre Körper richtet, bleiben die Kontraktionen der Zeigefinger blockiert.

To be or not to be?

Dies führt unweigerlich zu der Frage, warum ihr der Selbstmord nicht gelingt. Die Filmlogik von Possessor und die der Charaktere legen diese Überlegung nahe: Wenn der Selbstmord der letzte Ausweg aus einer ausweglos erscheinenden Situation ist, Vos einen solchen aber eigentlich nicht sucht, da sie sogar Erfüllung in ihrem Leben, in ihrem Job als Killerin findet, kann er dann gelingen? Oder: Wenn der Selbstmord die letzte Instanz, die einzige Möglichkeit ist, in einer herkömmlichen Lebenssituation (aus einer nicht-fiktiven Realität) einer (sinnentleerten) Existenz zu entrinnen, ist es dann nicht paradox, dass in dieser nicht-herkömmlichen Situation, in der Mission zu Töten, der Selbstmord sogar sinnstiftend ist?

Salopp gesagt: Dem Überlebenstrieb ist die Herkömmlichkeit der Situation offenbar egal. Ist der Selbstmord in dieser Situation dadurch vielleicht unmöglich? Eine mögliche Deutung: Dem Selbstmord einen Sinn zu geben, ist ein zu kühnes Unterfangen. Es existiert nur das Negativ dieser Idee – die Flucht aus der Sinnesleere, die als Ersatz für das Sinnhafte als solches dient.

Eine andere Position kann die Religion als Intention für den Selbstmord einnehmen: im Speziellen der Märtyrertod. Das Wissen zum Beispiel islamistischer Selbstmordattentäter um ein Leben danach, das viel schöner und angenehmer sei als das jetzige, treibt sie dazu, sich selbst zu töten und auch andere mit in den Tod zu reißen. Herrschende Moral und Ordnung im Hier und Jetzt werden durch Ideologie bewusst aufgehoben und korrumpiert. Die Attentäter sind sich sicher, so den nächsten Bewusstseinszustand zu erreichen. Im Fall von Vos ist dieser Zustand jedoch nicht der nächste, sondern der vorherige. Sie würde nach dem Selbstmord wieder in ihren ursprünglichen Bewusstseinszustand samt gebürtiger Körperbindung zurückkehren.

Ein Ziel, das lohnt? Reicht die Möglichkeit auf die Reinkarnation in die von ihr als Tarnung gewählte bürgerliche Mitte aus, um die Kraft für einen Selbstmord aufzubringen? Der Film zeigt: wohl kaum! Sie scheitert von einem Mal aufs andere. Von religiöser Natur scheint ihre Überzeugung nicht zu sein, denn es bleibt immer nur beim Versuch, sich zu töten, und dieser ist tödlich für extremistische Ziele: Tödlich für die Möglichkeit, das Höchste, das Heiligste zu erreichen.

Etwas, das es nicht geben sollte

Das Besondere an Possessor ist, dass hier Überlegungen über die Grenzen des Leiblichen, die Möglichkeiten der Seele sowie vor allem über den Tod an sich angestellt werden, die der Mensch im Alltagsleben aufgrund seiner Natur vermeiden will. Man mag sich gar nicht vorstellen, wohin man hin verschwindet, begibt man sich erst einmal auf unergründete Pfade außerhalb des eigenen Körpers.

Im Film gibt es eine zentrale Szene, die einen faszinierenden und angsteinflößenden Ort zeigt, an dem sich Konflikte austragen lassen, die an der Oberfläche der greifbaren Realität kaum sichtbaren sind. Dort reiben sich leere Hüllen, Hautfetzen freier und besetzter Leiber aneinander. Die Körper und Bewusstseinsströme vermischen sich, fließen ineinander und die losen Häute flattern durch einen leeren Raum. Der Besatzungszustand, der vom Possessor immer wieder forciert wird, ist nichts anderes als unsaubere, durch und durch unnatürliche Körperschändung.

Die ledrige Hülle von Vos hängt locker über der klar gezeichneten Körperform von Colin. Sie besitzt nicht mehr. Sie haftet wenn überhaupt nur noch unfest. Es ist klar: Sie sollte hier nicht sein. Dieser Nimbus, der Ort, der irgendwo zwischen Colins Geist und dem Herz der Finsternis der menschlichen Existenz liegt, wurde korrumpiert und zu einem grauenvollen Ort des körperlosen Kampfs ums Überleben gemacht. Vos ist dabei der Krebs, sie ist der eine Schritt zu weit, das schale Äußere, nicht durchblutet und blass: dasjenige, das es nicht geben sollte. Dort gibt es bloße Triebphänomene der Lust und Gewalt, die wiederum nur durch Körperlichkeit bezwungen werden können. Dort scheint es keine Vernunft zu geben; nur den Kampf ums nackte Überleben auf einer intrasubjektiven Ebene.

Das Tor zur Hölle

Um zur Ausgangsfrage zurückzukommen: Müsste man sich in fremden Körpern noch immer mit sich selbst arrangieren? Der Film gibt eine klare Antwort: Ja, müsste man. Es ist sogar noch schlimmer als das Dasein im eigenen Körper. Man trägt die Verantwortung für das eigene und das fremde Ich und kann beiden zugleich niemals gerecht werden. Im Film wird ein eigentlich einfacher Gedanke weitergesponnen: Wie übersteht das eigene Ich in einem fremden Körper?

Cronenberg folgt grundsätzlich dem Substanzdualismus eines René Descartes’, hebt dessen Philosophie auf eine fiktionale Ebene und macht sie so anschaulich. Denn auch bei Descartes sind Seele und Körper zwei verschiedene Dinge, zwei Substanzen sozusagen, die zentral gesteuert werden. Seine Zirbeldrüsenschwurbelei wurde zwar schon im 17. Jahrhundert widerlegt, doch an Faszination haben seine Überlegungen nichts verloren. Der Ort dieser Leib-Seele-Interaktion wird in Possessor ein konkreter: der Nimbus, die Elefantenhaube, das blutrote Nichts.

Ein Ort, an dem die blanke Angst herrscht, eine Verdichtung der Abwesenheit von Kultur und menschlich konstruiertem Orientierungspunkten und des völligen Chaos, das nicht gebändigt werden kann. Da dieser Ort in Descartes’ rein theoretischem Konstrukt nicht zugänglich war, ist die Veranschaulichung in Cronenbergs Film umso erstaunlicher: Jenes Tor zur Hölle kann nur geöffnet werden kann, wenn die naturgegebene Ordnung aufgehoben wird und die Individuen aufgespalten werden: Erhält der Geist Einzug in einen fremden Körper, wird er im Styx versinken.

Folgt man Cronenbergs Logik, würde das Vertraute im Fremden weiterbestehen. Das Fremde wird dabei ausgehöhlt und das Ich wie eine schmelzende Eiskugel in eine zylinderförmige Waffel gelegt, die nass wird und mit der Zeit wie die Kugel an Stabilität und fester Form verliert. Was geschieht, wenn dieser Übergang in den Aggregatzustand des „Possessierung“ nicht rechtzeitig gestoppt wird? Es folgt nichts anderes als die ultimative Deformierung. Die Aufhebung von Vertrautem und dem Fremden, von Recht und Unrecht, von Willen und Unterwerfung: von Existenz und Non-Existenz.

This body, this body holding me.

Be my reminder here that I am not alone in…

This body, this body holding me.

Feeling eternal, this pain is an illusion.

Maynard James Keenan

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