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Neues Album „Cellophane Memories“: David Lynch kehrt mit Chrysta Bell zur Musik zurück

Chrysta Bell in David Lynchs surrealem Musikvideo zu "The Answers to the Questions"

David Lynch und Chrystabell haben nach 13 Jahren ein neues Album veröffentlicht. „Cellophane Memories“ entführt in traumhafte Klangwelten. Ein verstorbener Freund und Künstlerkollege von Lynch hat darin einen posthumen Auftritt.

Nach einer langen Social Media-Abstinenz überraschte David Lynch, der nicht nur Filme dreht, sondern auch Musik macht, im Mai 2024 seine Fans mit einer Ankündigung: „Ladies and gentlemen, something is coming along for you to see and hear.“ Wenige Wochen später präsentierte er „Sublime Eternal Love“, die erste Single-Auskoppelung des Albums „Cellophane Memories“, das am 2. August nun veröffentlicht wurde. Produziert von Lynch, gesungen von Chrystabell (echter Name: Chrysta Bell). 

Das neue Lynch-Album wurde in seinem Haus in Los Angeles aufgenommen

„Cellophane Memories“ entsprang einem Fundus alter Aufnahmen, die Lynch und die Musiker Dean Hurley sowie der 2022 verstorbene Angelo Badalamenti, Lynchs Stammkomponist seiner Filme (unter anderem Twin Peaks und Lost Highway), über die Jahre der gemeinsamen Arbeit gesammelt hatten. Auf dieser Grundlage improvisierten Lynch und Chrystabell die Texte und bauten die finalen Tracks zu einer Serie ziemlich abstrakter Kompositionen zusammen.

In einem Interview mit dem Online-Magazin Dazed Digital erinnerte sich Chrystabell jüngst an die gemeinsamen Sessions im Studio von Lynch, das sich in seinem Haus in Los Angeles befindet. Dort hätten sie über das Leben und die Musik nachgedacht. „It’s like a cave,“ sagt sie. „All these whirring and flashing lights, holding all of David’s treasures.“

It’s always a leap into the void. David, in some cases, had written the music 49 seconds ago, and then wrote some lyrics, and was like, ‘Yeah, sure, let’s do a take.’ And I’m like, ‘OK, sure…’ But you can turn abject terror into excitement.

Chrystabell über die kreative Arbeit am Album

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Lynch-typische Klangsphären, die übereinander geschichtet werden

Das Album bewegt sich stilistisch im Bereich des Ambient und des beatlosen Dream Pops. Chrystabells Stimme wird geschichtet, zerschnitten und rückwärts abgespielt. Auf diese Weise entsteht eine geheimnisvolle und oft schwer zu greifende Atmosphäre. Die Texte bestehen aus Momenten und Reflexionen. Oft sind sie romantisch. Manchmal allzu alltäglich.

Chrystabell beschreibt das 37 Minuten lange Album als eine Einladung zum Träumen. „These songs give you room to dream“, sagt sie. Und: „Es geht nicht darum, dem Hörer etwas vorzusetzen, sondern ihm eine Stimmung zu bieten, die wie ein Schleier über ihm liegt und ihm erlaubt, seine eigenen Gedanken und Erinnerungen zu erkunden.“ Dass Lynchs Autobiografie „Room to Dream“ heißt, passt also auch im Kontext der Musik ziemlich gut.

Was macht David Lynchs Album „Cellophane Memories“ so gut?

Hier eine Analyse ausgewählter Songs aus David Lynchs Album, das er gemeinsam mit Chrystabell produziert hat:

„The Answers to the Questions“

  • Einziger Song mit einem Beat, der von Bass und Schlagzeug von Dean Hurley vorgegeben wird. Der Rhythmus bringt einen eigenwilligen Vorwärtsdrang in das Stück. Diese Energie hebt das Stück von den anderen, eher atmosphärischen und beatlosen Tracks des Albums ab. Hurleys präzises Spiel verleiht dem Song dabei die Struktur.
  • Selbstparodistisch: Der Text ist eine klischeehafte Wiedergabe von Themen und Stilmitteln, die typisch sind für Lynch. Die Zeilen „There was a feeling / a feeling of falling / she felt she would never find the answer / the answer to the questions“ klingen wie eine übertriebene und bewusste Wiederholung seiner bekannten, rätselhaften Lyrik.
  • Endet mit einer Traumsequenz: Sie repräsentiert die Verschmelzung von Realität und Traum, das ein häufiges Thema in Lynchs Filmen und Musik ist. Der lyrische Gehalt, der die Gefühle des Fallens und das Streben nach Antworten umreißt, mündet in einen Zustand, in dem die Protagonistin in einen Traum gleitet.

„You Know the Rest“ und „Two Lovers Kiss“

  • Lynchs markanter, „twangiger“ Gitarrensound ist hier besonders auffällig. Der Begriff „twangig“ beschreibt einen spezifischen Gitarrenklang, der sich durch scharfe Töne auszeichnet – oft verbunden mit einem nasalen Charakter. Dieser Sound, eigentlich typisch für Genres wie Country und Rockabilly, verleiht diesen Songs eine kantike Klangfarbe, die sich deutlich von den eher träumerischen, rundlichen Klanglandschaften des Albums abhebt.

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„Reflections in a Blade“

  • Die bedrohliche Atmosphäre wird durch tiefe Bass-Synths erzeugt. Sie schaffen die Grundlage für das ächzende Wehklagen aus Chrystabells Mund.
  • Die albtraumhafte Qualität des Songs wird durch vielschichtige, meist rückwärts abgespielte Vocals auf die Spitze getrieben. Diese rückwärts abgespielten Stimmen erzeugen eine surrealistische, groteske Klanglandschaft, die die Grenzen zwischen Realität und Traum verwischen lässt. Das ist kreativ inszenierte auditive Desorientierung at its best.
  • Am Ende des Songs erwacht der Protagonist. Dieser Moment des Erwachens markiert eine Rückkehr zur Realität und bietet einen Kontrast zu den vorangegangenen, traumähnlichen Sequenzen. Es verleiht der Geschichte des Songs eine abschließende Wendung, indem es die zuvor aufgebaute Spannung auflöst. Doch nur ein Albtraum.

„So Much Love“

  • Eine pastorale Romanze, untermalt von Badalamentis Synthesizern. Sie erzeugen sanfte, idyllische Klänge, die an eine friedliche ländliche Szenerie erinnern. Chrystabells sanftes Klagen fügen eine emotionale Tiefe hinzu. Das ist melancholisch, besinnlich und beruhigend zugleich.
  • Der Song zeigt Badalamentis Genie, der es beherrschte wie kaum ein zweiter, über die Musik unruhige Stimmungen zu erzeugen. Seine Synthesizer erzeugen subtile Musikebenen, die eine ständige Spannung und ein Gefühl von Unsicherheit vermitteln. Diese musikalischen Texturen fügen den Stücken eine zusätzliche Dimension der Tiefe und Komplexität hinzu. Zu fühlen ist das, denn das ist alles ziemlich unheimlich. Als würde man ins tiefe schwarze Meer blicken.

„Dance of Light“ und „Sublime Eternal Love“

  • Rücken Chrystabells Stimme stark in den Vordergrund. Ihre vokale Präsenz ist klar und dominierend und das lässt die Songs intim und unmittelbar wirken. Und das hebt sie auch von den restlichen Tracks des Albums ab, bei denen die Stimme von Chrystabell oft mehrschichtig ist oder verfremdet wird. Hier indessen ist sie ganz nah am Ohr ihrer Hörer. Hier fühlen wir ihre Stimme am meisten.
  • Erinnern teils sehr an den Soundtrack von Twin Peaks. Die verträumten, melancholischen Melodien wecken Erinnerungen an die musikalische Ästhetik, die Angelo Badalamenti für die Serie geschaffen hat. Das Gefühl von Nostalgie schießt einen unvermittelt in den Bauch. Wir denken an Laura Palmer und wie sie unter dem Heulen der Eule im finsteren Wald umherirrt. Der Mond scheint blass, der Wind bläst sanft.

Erinnerung ist in Cellophane Memories ein zentrales Motiv

Das Album ist also zum einen eine Hommage an den verstorbenen Angelo Badalamenti, dessen posthume Beiträge in „She Knew“ und „So Much Love“ enthalten sind. Badalamenti, bekannt geworden für seine Arbeit an Twin Peaks, trägt mit seinen Synthesizern zur mystischen Atmosphäre des Albums bei. Er lebt weiter durch dieses Album. Erhält ein posthumes Podest, das ihn ehrt, ihn rühmt und zeigt, wie sehr sein musikalisches Talent in dieser Welt doch fehlen wird.

The music that ended up being on the album were pieces that Angelo had given to David at different times in his life, because Angelo knew what can spark David’s curiosity. A piece of music, for instance, or a dead bird.

Chrystabell über die Einflüsse von Angelo Badalamenti in „Cellophane Memories“

Und so ist es einzusehen, dass Erinnerungen eine eminent wichtige Rolle in „Cellophane Memories“. Ähnlich wie in Lynchs 2017 veröffentlichten Serie Twin Peaks: The Return, sein filmisches Opus Magnum. Das Album thematisiert die kraftvolle und oft immaterielle Natur der Erinnerung, die in träumerischen und melancholischen Klanglandschaften eingefangen wird. Und durch die Erinnerung an Badalamenti erhält dieses Motiv eine leibhaftige Ergänzung über die Kunst hinaus.

„Cellophane Memories“ zu produzieren, war für Lynch und Bell harte Arbeit

Die künstlerische Partnerschaft zwischen Lynch und Chrystabell begann in den späten 90er Jahren und entwickelte sich zu einer tiefen kreativen Verbindung. Chrystabell selbst beschreibt Lynch als einen bemerkenswerten Menschen und Seelenverwandten. Ihre gemeinsame Arbeit ist geprägt von Vertrauen und der Bereitschaft, in kreative Abgründe zu springen. Das Unbekannte zu erforschen.

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Chrystabell betont aber auch, dass sie und Lynch hart an dem Album gearbeitet haben. Dass es nicht von allein ging. Arbeit, die aufgebaut ist auf einer Chemie, die sie beide durch gemeinsame Projekte über die Jahre etabliert hatten: „David and I, we’re both workers. He’s a Capricorn, I’m a Taurus. That’s really helpful in the process of making records, because it is a significant effort.“

David edits, distorts, and obscures your voice a lot on this album. What was your initial reaction to that? David’s doing his experimental editing, and my first thought is, ‘What’s happening here?’ As a singer, you’re all about precision, clarity, and ‘I can do nine harmonies without blinking’. All of these tenets you’ve acquired over time… you’re forced to release all those things.

Chrystabell über die Zusammenarbeit mit David Lynch

„Cellophane Memories“ ist ein Album, das uns in eine Welt entführt, in der Erinnerungen, Träume und Realität miteinander verschwimmen. In der Musik schwingt stets Schwermut mit. Denn sie ist eng gekettet an die Erinnerung an die Vergänglichkeit des Lebens. Dabei fordern uns Lynch und Chrystabell unsere eigene Vorstellungskraft heraus. Und wie bei Lynchs besten Werken bleibt dabei vieles mysteriös und offen für Interpretation.

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