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Maskierte Ordnung

Der Blick in die Zukunft verheißt über kurze oder lange Strecken ein Arrangement der Menschen mit Atemschutzmasken und dem Tragen derer in der Öffentlichkeit. Österreichs Kanzler gibt bereits einen Ausblick auf eine Regelhaftigkeit, die unter anderem besagen kann, dass die Maskierung zum Schutz der Risikogruppen bei einem Besuch einer öffentlichen Einrichtung unabdingbar sein muss und die einzige Handlungsweise mit Verantwortung sein kann. Das Ziel, die große Bedrohung, das zwar gesichtslos, aber keineswegs namenlos ist, auszugrenzen und zurückzudrängen, lässt aller Register ziehen, die auch den Verlust demokratischer Grundwerte bedeuten kann. Es wird der Versuch unternommen, den Gegner mit einer uralten Taktik zu bekämpfen, die schon in primitiven Zivilisationsformen von Erfolg gekrönt war: Gepaart mit einem mächtigen Kriegsgeschrei den Gegner durch Schreckensgebärden und bedrohlichen Maskeraden einzuschüchtern, so Gerhard Schmitz über das Verhältnis von Maske und Angst im Kontext der Psychoanalyse. Der Anblick jener Kriegsmasken werde den Gegner so sehr der Selbstmächtigkeit berauben, dass er entweder leicht zu überwältigen sei oder aber unter Preisgabe seiner Waffen das Weite suche.

Schutz vor Infektion hat in dieser Ordnung einen ähnlichen Rang wie der Schutz vor der Scham, die eine Enthüllung, eine Individualisierung in einer kollektiven Maskerade mit sich bringen würde. So werden die Nuancen entlarvt, sozusagen zutage geführt, die ansonsten nicht bildlich wiedergegeben werden können. In einer unmaskierten Gesellschaftsform bleibt ein Ausschluss unausgesprochen, während das Gegenteil bei einer maskierten Ordnung der Fall ist: Die gesellschaftliche Bloßstellung durch das Preisgeben der eigenen Identität hat als Symbol ein im Wortsinn offensichtliches Gewicht, die Ausgrenzung hat einen Namen. Während wir vor 2 Monaten noch ein seltsames Gefühl gehabt hätten, eine Maske zu tragen, könnte es in 2 Monaten ein Unbehagen hervorrufen, auf das Tragen zu verzichten. Neben der Einordung in den medizinischen Kontext, zum Schutz der Risikogruppe, muss auch der moralische Aspekt beleuchtet werden und lässt uns bald zum Entschluss kommen, dass beständige Werte umgekehrt werden können – zum Nutzen der Allgemeinheit.

Maskierte Anonymisierung

Es ist klar, dass sich hinter einer solchen Ordnung, einhergehend mit dem Maskensymbol, auch ein Persönlichkeitsverlust verbirgt und somit ein Gewinn der Anonymität auf Kosten der Individualität. Doch was bringt diese Anonymität mit sich? An dieser Stelle ist es ratsam, bereits dargestellte Szenarien zu betrachten. Szenarien, die eine wahrhaftige Anonymität im Rahmen einer eigentlich liberalen Gesellschaftsordnung thematisieren. Geschehen in Stanley Kubricks Eyes Wide Shut, der die Darstellung einer Versammlung eines Geheimbunds dazu verwendet, diese Struktur der Maske aufzuzeigen. Eine wichtige Erkenntnis aus diesem Film ist die Problematik der Verleugnung, dass die Anonymisierung bereits parallel zur vermeintlich liberalen Gesellschaft stattfindet, ja, sich sogar schon in einem Stadium der Übersättigung befindet. Sobald diese Parallelwelt jedoch aktiv beschritten wird, ist kein Zurück mehr möglich. Bezogen auf die bereits vollzogene Anonymisierung bedeutet das, um ein Beispiel zu nennen, dass wir uns dem gesamten Spektrum der Digitalisierung bewusst werden und der Art und Weise, wie sich Diskussionen im identitätsfreien Raum zu denen in der Realität unterscheiden. Bezogen auf unser Zukunftsszenario kann das eine ernstzunehmende Integration dieser anonymen Diskursmoral in das leibhaftige Leben bedeuten. Während die Identität verloren geht, rückt die Egozentrik in den Mittelpunkt, geschürt durch eine maskierte Anonymisierung.

Bildquelle: Eyes Wide Shut © 2007 Warne Home Video

Eyes Wide Shut aus dem Jahr 1999 handelt von einem Ehepaar in der New Yorker High Society, gespielt von Tom Cruise und Nicole Kidman, die eine tiefenpsychologische Krise in ihrer Beziehung zu bewältigen haben. Sie schildern einander erotische Exkurse, die das Gegenüber in einen Abgrund blicken lassen, der Beziehungsmuster aufbricht, die Möglichkeiten einer Erfüllung von Verlangen in Frage stellt und vor allem die Maskerade offenlegt, die selbst ein Ehepaar untereinander aufrechterhalten muss, um die Ordnung sowohl im privaten als auch im öffentlichen Raum aufrechterhalten zu können. Auf der Suche nach dem Selbst, dem Verlangen, der Identität in der Anonymisierung streift nun Tom Cruise‘ Figur Bill Harford durch das nächtliche New York – in einem traumähnlichen Zustand, der ins Surreale abzudriften droht, das Trauma aufzuarbeiten. Er schöpft Hoffnung, als er einen alten Studienkollegen trifft, der ihm von einem Maskenball erzählt. Bill enrschließt sich, dorthin zu gehen, deckt sich mit Verkleidung ein und setzt die Maske auf, jenen Geheimbund aufzusuchen.

Die Unmöglichkeit einer enthüllten Ordnung

Die slowenische Sozialtheoretikerin Alenka Zupančič schreibt in ihrer Arbeit Was ist Sex?, dass Weiblichkeit eine Maske ist, Männlichkeit jedoch eine Überzeugung sein muss. Der Film schafft hierbei eine bemerkenswerte Ausgangssituation dieser These. Die zur Schau gestellte Nacktheit der Frauen in der geheimen Zeremonie, die eben nur durch jene Maske eingedämmt wird und so wenigstens die Anonymität und so auch die Stellung in der maskierten Ordnung gewährleistet, im Kontrast zur männlichen. Diese ist nämlich zweckerfüllend und dem Muster der progressiven Annäherung und dem Akt als unumstößliches Ziel tatsächlich nur durch Überzeugung durchzusetzen. Die maskierte Ordnung entlarvt die bereits vorherrschenden Muster eines nicht maskierten Systems. Mit dem Unterschied, dass die Vorgehensweisen hier zügellos und unbehelligt ausgeübt werden dürfen. Mit anderen Worten: Durch die Maskierung verschwindet die Scham, die Männlichkeit kann nun zur Überzeugung werden und es kann akzeptiert werden, dass die weiblichen Handlungen hier nichts anderes darstellen als ein Spiel, eine Maskerade.

Das Motiv der Maske dient hier als eine letzte Vorstufe zur völligen Enthüllung und ist somit das Einzige, womit der Mensch, der sie besitzt, noch Kontrolle über das Nachaußengelangen seines Innersten hat. Und was ist die völlige Enthüllung? Es ist der Grad einer gesellschaftlichen Ordnung, der im Kontext eines funktionierenden Systems nie erreicht, nie ausgesprochen werden kann. Die Erkenntnis lautet also, dass es uns ergeht wie Bill Harford in Eyes Wide Shut. Denn durch den Film wurde uns enthüllt, was nicht enthüllt hätte werden dürfen: Die Realität, die Rohheit einer maskierten Ordnung bedarf keiner tatsächlichen Maskerade, sie existiert bereits. Doch mit dem Tragen der Maske im offenen Raum bekommt diese Realität paradoxerweise ein Gesicht.