Klassisches Heldentum in Hollywood zeichnet sich oft durch schweigsame Typen aus. Meist männliche Figuren, in Szene gesetzt durch Close-Ups auf ihr Antlitz. Geschlossener Mund, gerunzelte Stirn, nachdenklich, nicht zu durchschauen und doch nahbar. Ob Ryan Gosling in Drive oder Tom Hardy als Mad Max, es geht eine stille Faszination von ihnen aus. Eine Faszination, die in der Ruhe und im Schweigen liegt. Und doch unterscheiden sie sich eminent, die individuelle Interpretation ist eine Kunst für sich.
Wer bringt bringt es auf die Leinwand? Wer schafft es nicht? Ist es eine Frage des so schlecht zu definierenden Charismas? Allerdings. Doch es ist einen Versuch wert. Ihre Gesichter sind kantig, einmalig, ein Blick sagt tatsächlich mehr als tausend Worte und diese müssen nicht ausgesprochen werden. Rollt Clint Eastwood seinen Zigarillo-Stummel von einem Mundwinkel in den anderen, bleiben keine Fragen offen. Beziehungsweise sollte sein gegenüber in diesem Moment keine stellen. Und doch ist es einleuchtend, dass ein auf die Sprache fokussierter Adam Sandler oder Robert Downey Jr. in einer solchen Rolle weniger gut funktionieren würden oder zumindest erst einen Prozess der Gewöhnung bedürfen. Da ist es eine Frage der Inszenierung. Eine Frage der Quantität. Öffnet Eastwood den Mund, um zum verbalen Streich auszuholen, ist der Satz meist in Stein gemeißelt und hat eine unmittelbare Relevanz für Anschluss und Dramaturgie. Im Strudel eines nie zur sprachlichen Ruhe kommenden Uncut Gems (2019) bleibt auf dieser Ebene kein bleibender Eindruck. Es wird schlicht zu viel gesprochen.
Nun ist es so, dass auch Quentin Tarantino in seinen Filmen einen Fokus auf den Dialog legt. Hier funktioniert es gerade trotzdem. Und so schafft er mit Cliff Booth (Brad Pitt) in Once Upon a Time in Hollywood einen Charakter, der Kontrast schafft. Einen Gegenpol zum plappernden Burger-Tanya-Red Apple-Ensemble. Er strahlt Ruhe aus, schmunzelt in sich hinein, ein stoischer Fels in einem sich ständig selbst referenzierenden Meer mit starkem, extrovertiertem Seegang.
Kritischer und diskutabler wird es bei unsicheren Charakteren, die verletzlich sind, physisch und psychisch, keine unmittelbare Antwort auf jegliches Geschehen ausdrücken und deren Schweigen eher ein Zeichen der Unentschlossenheit sind. Ryan Gosling. Seine Figur in Drive (2011) verkommt nach genauerer und ernsthafter Betrachtung zu einem Meme. Es ist eine Sache, wenn ein Charakter in Poncho und Wüstensetting nicht direkt auf eine ihm offenbarte Situation reagiert und den verwegenen Held gibt. Doch auf gestellte Fragen einfach keine Antwort geben, ins Gesicht des Gegenübers starren, als sehe er fern, als gäbe es keinen zwischenmenschlichen Anschluss, das ist anders zu betrachten. Die Intention dieser Darstellung ist klar. Der Held hat es nicht leicht in seiner scheinbar funktionierenden Gesellschaft aus Beziehungen, Geschäften und sonstigen Interaktionen. Es symbolisiert die in gewisser Weise autistische Abgeschlossenheit eines menschlichen Mikrokosmos, der nur auf diese Weise Anschluss zu suchen in der Lage ist.
Der noch nicht ausgereiften Film- und Tontechnik geschuldet, verstummen die Figuren von Charlie Chaplin vollends. Stumme Helden. Helden? Nicht im Sinne der bisher Betrachteten. Er wuselt und ackert, gestikuliert extrovertiert, konversiert wortlos, interagiert mit dem Zuschauer, lässt sich auf das Gegenüber, die Umwelt ein. Moralisiert, jedoch nie deplatziert. Kein stoischer Kontrastpunkt, eher ein zum Schweigen verdammter Fixpunkt, der nicht stillstehen geschweige denn sitzen kann.
Stumm ja, schweigsam nein. Charlie Chaplin invertiert das Verfahren. Die Kunst des Schweigens mit starker Aussage trotz dem Schweigen. Und auch der Munharmonika-Spieler und Konsorten sagen etwas, ohne dabei sprechen zu müssen. Überzeugen, imponieren und faszinieren. Sie machen das Kino zu einem einzigartigen Ort. Zu einem Ort, an dem es nicht seltsam ist, wenn man als Teil einer Gesellschaft schweigend vor einer Leinwand sitzt und Menschen dabei zusieht, wie sie sich anschweigen.
Titelbild © 2011 Telepool